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idylle mit schrammen

Die letzten 100 km beginne ich zu cruisen: Ich weiß, dass ich nun etwa 1,5 Stunden hinter LKWs auf der Landstraße hängen werde und es macht mir überhaupt nichts aus. Weil ich mich auf etwas freuen kann: Auf eine schöne Landschaft, wenig Verkehr und - Ruhe.

Ankommen in Lübeln, im Kartoffelhotel, wo die Kartoffel König ist und der Gast ihre Vorzüge genießen darf. Zur Begrüßung dampft die Kartoffelsuppe im Teller. Der Herr über die Kartoffel ist Olaf Stehr, welcher erzählt, dass alles eigentlich mit einem riesigen Kartoffelberg angefangen hat. Irgendwie musste der weg und die Mama fing an zu kochen. Da es dann nicht nur den Menschen im Dorf so wunderbar geschmeckt hat, gibt es das Kartoffelhotel jetzt schon 28 Jahren. Die Kartoffelwellness kam dazu (das ist gut für Haut und Seele), die Kartoffeldiät (als Wunderwaffe zum schlank werden) wurde entwickelt und natürlich kann man hier von der Kartoffel auch satt werden: Jeden Tag wird ein neues Rezept kreiert. 

Doch bevor ich mir selber davon ein Bild machen kann, geht es ins Rundlingsmuseum nebenan. Boni Goldlücke weiß alles über die Rundlinge, die kleinen Dörfer, welche nun bald zu hohen Ehren gelangen sollen: Man strebt an, sie zum Weltkulturerbe erklären zu lassen. Die Slaven waren die Übeltäter und haben sich damals überlegt, dass es wohl ganz praktisch wäre, wenn man immer sieht, was der Nachbar so treibt. Da alle Höfe zur Dorfmitte ausgerichtet sind, war das auch gut möglich. Nein, so muss es natürlich nicht gewesen sein, keiner weiß so genau, warum es nur diese eine Zufahrt gibt, welche auch gleichzeitig nach dem Kreiseln wieder hinausführt.

In der Dönz, was so viel wie die Gute Stube war, wurde am Webstuhl gearbeitet, gegessen und im Alkoven sitzend geschlafen. Im Kartoffelhotel-Restaurant geht es dann auch rund: Ich gönne mir "Himmel und Erde" - mehr Kartoffel geht nicht.

Zum Schluss hilft dann nur der Kartoffelschnaps und selbst der wird in der Kartoffel serviert.

Mit ständigem Rückenwind, dank e-bike-Motor, fahren wir mit Ulli Stang am nächsten Tag durch die Rundlinge. Heide Kowalzik empfängt uns in Süthen mit Kaffee und Schnitten, zeigt uns ihre Werke und den riesigen Garten. Sie hätte gerne ihr Buch druckfrisch präsentiert, doch leider war es noch nicht fertig. Sie hat ein Buch über Johann Parum Schultze geschrieben, den Dorfchronisten aus Süthen. Wäre er nicht so begeistert am Schreiben gewesen, wüsste man heute nichts über die wendische Sprache und weniger über die Wenden. Auch Heide hat er begeistert und so liegt auf dem Tisch ein Kalender, worin sie seine Texte künstlerisch interpretiert hat.

Bei Doris Gessner schauen Steinmänner um die Ecke und mit ihren Kissen aus Stein gewinnt man jede Kissenschlacht. Sie ist Steinbildhauerin im Rundling Köhlen, gibt darin auch Kurse und zeigt uns stolz ihr neustes Werk: Das Boot ist voll.

Hier kann man noch auf Landstraßen radeln, ohne ständig überholt zu werden. Da die Dörfer nicht weit auseinander liegen, im Idealfall einen Kilometer, ist man auch schon gleich wieder im nächsten Rundling. Das ist in unserem Fall Satemin, der aufgehübschte Vorzeigerundling mit Landgasthof, Café und der obligatorischen Milchbank in der Mitte. Leider hat das gleichmäßige Aussehen der Häuser hier einen traurigen Grund: Der Rundling brannte einmal vollständig nieder und wurde in zweieinhalb Monaten wieder aufgebaut. Im Markthof Satemin gab es das gute Sauerfleisch, Fisch und Bratkartoffeln, so richtig norddeutsch eben.

Stipendiatenstätte Schreyan: Der Ausdruck "Idylle mit Schrammen" stammt von ihm - Axel Kahrs. Er ist dafür verantwortlich, dass hier jedes Jahr zwei Komponisten und zwei Autoren eine Zeit lang leben und arbeiten dürfen. In dieser Umgebung scheinen die Ideen nur so zu sprudeln, denn schon mancher hat in Schreyahn ein Werk vollendet, welches später Preise eingeheimst hat.  

Axel Kahrs hat die Ergüsse einiger Stipendiaten zum Wendland in dem Buch "Dichters Rundling" gesammelt. Darin ist auch der Satz von Andreas Maier, unter anderem auch FAZ-Kolumnist, zu finden: "Im Wendland ist man der Wahrheit näher." Wohl wahr.

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