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Niederlande

Aus dem Dollart, der Meeresbucht bei Emden, gespeist mit Nordseewasser, tauche ich auf. Ich, die Grenze, mache mich auf den Weg um mein Land. Deutschland umreiße ich in Google Maps nur noch als eine gezackte schwarze Linie auf der Karte. Für neun Staaten war ich wichtig, wer mich überqueren wollte, musste sich ausweisen und kontrollieren lassen. Übrig geblieben sind quadratisch blaue Schilder mit Sternenkranz und der Hinweis, etwas langsamer zu fahren. Es muss mehr von mir zu finden sein - jenseits der schwarzen Linie. Die Schranken sind nicht mehr da, aber vielleicht sind sie noch in den Köpfen der Menschen.

Der geteilte Ort

Ein blau-gelbes Ortsschild: „Dinxperwick“. Die Straße in den Ort hinein ist breit und führt durch ein Wohngebiet. Doch es ist nicht ein Ort, es sind zwei, die Grenze verläuft mitten auf der Straße: Rechts liegt Dinxperlo in den Niederlanden, links Suderwick in Deutschland. Der Zweite Weltkrieg ist schuld an der ungleichen Teilung: Dinxperlo hat 7000 Einwohner, Suderwick ist kleiner, nur 1800 Menschen leben hier. Von den Klinkerhäuschen mit gardinenlosen Fenstern und detailverliebten Vorgärten geht es direkt zu den deutsch-korrekten Häusern hinter glasklaren Scheiben. Wer will, kann mit jedem Bein in einem anderen Land stehen. So einfach ist das.

Das Schmuggeln

Eine Shell-Tankstelle im niederländischen De Lutte. Sie liegt direkt an der A1; Bad Bentheim auf der deutschen Seite ist nur zwanzig Autominuten entfernt. An den Zapfsäulen stehen fünf LKWs in einer Reihe. Im Verkaufsraum: Koffein-Türme auf Paletten bis fast an die Decke. Der Kaffee ist hier nur halb so teuer wie in Deutschland - das war schon so bevor sie die Schlagbäume öffneten. Damals wurde er kiloweise über die Grenzlinien geschmuggelt. Heute ist es ähnlich – nur legal.


Die Geheimsprache

Winfried Sieben lacht oft und gern, wenn er über das "Henese Fleck" spricht. Er ist stolz darauf, als einer von zehn Menschen noch das Krämerlatein zu sprechen. Als Geheimsprache wird es gern bezeichnet, sicherlich auch deshalb, weil man als "Normalsprechender" kein einziges Wort versteht. Aber dafür ist es einfach zu lernen - nur 350 Wörter bilden durch Kombination untereinander einfach gestrickte Sätze. Die Händler nutzten die Sprache schon vor 300 Jahren, um ihre Waren zwischen Deutschland und den Niederlanden zu verkaufen. So sind es auch im Wesentlichen landwirtschaftliche Begriffe wie "Jronkwöölese" und  "Kraakmoon", die sich in der Sprache finden. Wer also Kartoffeln oder Ochsen über die Grenze bringen wollte, kam gleich mit den "richtigen" Menschen ins Gespräch. Breyell ist ein kleiner Stadtteil von Nettetal in Nordrhein-Westfalen. Hier krähen noch Hähne und läuten Kirchturmglocken. Die niederländische Grenze ist keine zehn km entfernt und Venlo in Holland auf der A61 in zwanzig Minuten zu erreichen. Die Nord-Süd-Achse war auch vor 300 Jahren für Händler interessant, das könnte ein Grund für die Entstehung der Sprache sein - da kann Winfried Sieben jedoch auch nur mutmaßen. Der vitale Rentner und seine Frau Anneliese haben sich ihr Häuschen fürs Alter erst mit fünfzig gebaut, dafür aber genau für sie passend. Der Blick geht durch das große Fenster hinaus in den Garten. Die Sammel-Kaffeekannen stehen in einer Reihe auf dem Regal, an der Wand ein Kreuz und die Hochzeitsfotos der Kinder. Bei Siebens gibt es Kaffee und Kekse, die Osterhasen stehen noch auf dem Tisch.  Winfried Sieben erzählt, gefällt sich gut in der Rolle der Minderheit, die noch eine Geheimsprache kennt. Einmal im Monat trifft sich die eingeschworene Gemeinde der "Geheimsprachler", um sich zwei Stunden lang auszutauschen und das auf Henese.

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